Waren die Religionen früher dieselben und wenn ja, haben sie sich vertragen?

Fishie
13.01.2021 - 14:43

Hallo Fishie. Das Zusammenleben der Religionen in Jerusalem hat eine sehr wechselhafte Geschichte. Die längste Zeit über haben jüdische, christliche und islamische Gläubige friedlich in der Stadt zusammengelebt.

Die Stadt Jerusalem ist schon sehr, sehr alt. Es gibt Funde, die darauf hindeuten, dass dort schon 4.000 Jahre vor Beginn unserer Zeitrechnung Menschen mit ihrer eigenen Religion gelebt haben. Der jüdisch-christlichen Tradition nach erwählte König David die Stadt gegen 1.000 vor unserer Zeitrechnung zu seiner Hauptstadt. Und sein Sohn Salomo baute dort einen Palast und den ersten Tempel für den Gott Israels, JHWH. Das bedeutet, dass Angehörige des Volkes Israel, die Vorfahren der heutigen Jüdinnen und Juden, schon sehr, sehr lange in Jerusalem leben.

Das Land wurde jedoch mehrfach von anderen Völkern überfallen. 587 vor unserer Zeitrechnung wurden viele Angehörige des Volkes Israel verschleppt und der Tempel in Jerusalem niedergerissen. Nach 40 Jahren kehrten die Menschen aus der Gefangenschaft zurück und bauten ihren Tempel wieder auf. Trotzdem herrschten seitdem ständig fremde Mächte über das Gebiet – beispielsweise die Griechen oder die Römer. Im Jahre 70 unserer Zeitrechnung wurde der Jerusalemer Tempel dann endgültig zerstört. Seine Reste bilden die heutige Klagemauer.

Dann breitete sich langsam das Christentum aus. In den ersten Jahrhunderten waren die Unterschiede zwischen Judentum und Christentum noch nicht so eindeutig, wie sie heute sind. Das änderte sich so ungefähr in der Zeit zwischen dem zweiten und dem vierten Jahrhundert immer mehr. Zu der Zeit wurde Jerusalem dann auch zu einer „christlichen Stadt“ umgebaut. Zum Beispiel wurde die Grabeskirche errichtet.

Im siebten Jahrhundert eroberte ein arabisches Heer Jerusalem. Fortan wurde die Stadt von islamischen Gouverneuren und christlichen Patriarchen verwaltet. Und die jüdische Bevölkerung durfte wieder nach Jerusalem zurückkehren. Nun wurde Jerusalem zu einer islamischen Stadt umgestaltet: Zum Beispiel wurde der Felsendom erbaut. Mal gab eine christen- oder judenfeindliche Politik in der Stadt, mal tolerierte man die jüdischen und christlichen Bewohnerinnen und Bewohner und ließ sogar Pilger in die Stadt.

Unter der Herrschaft der christlichen Kreuzritter im zwölften Jahrhundert wurden wiederum die einheimischen Bewohnerinnen und Bewohner sehr schlecht behandelt. Und als die Muslime die Kontrolle über die Stadt zurückerlangten, beschlossen sie, dass nur Musliminnen und Muslime vollgültige Bürger sein könnten. Jüdische und christliche Gläubige durften zwar weiterhin ihre Religion ausüben, wurden aber sehr oft benachteiligt: Sie mussten beispielweise eine Zusatzsteuer zahlen und ihre Religionszugehörigkeit an ihrer Kleidung sichtbar machen. Und immer wieder wechselten sich Gewalt und Toleranz gegenüber den aus Sicht der Muslimen Andersgläubigen ab.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wanderten ganz viele Juden nach Jerusalem ein, so dass bald die Hälfte der Stadtbevölkerung jüdischen Glaubens war. Als 1948 dann der Staat Israel gegründet wurde, brach ein Krieg zwischen dem mehrheitlich jüdischem Israel und den mehrheitlich muslimischen, arabischen Nachbarstaaten aus. Dabei wurde auch in Jerusalem viel gekämpft und viel zerstört. Am Ende wurde die Stadt in zwei Teile aufgeteilt: Ins israelische West-Jerusalem und ins transjordanische Ost-Jerusalem. Die jüdische Bevölkerung wurde aus Ost-Jerusalem vertrieben, ihr Viertel zerstört und ihnen wurde der Zugang zur Klagemauer versperrt.

1967 gab es erneut einen Krieg, in dem der Staat Israel den Ost-Teil Jerusalems zurückeroberte. Dadurch konnten Jüdinnen und Juden nun wieder an der Klagemauer beten. Anders als die arabische Seite verweigerte Israel den Musliminnen und Muslimen nicht den Zugang zu ihren heiligen Stätten. Sie unterstellten den Tempelberg einer eigenständigen muslimischen Verwaltung, einen Waqf. Und das israelische Parlament erließ sogar ein Gesetz, dass die heiligen Stätten aller Religionen vor Entweihung schützen und den Zugang zu ihnen gewährleisten soll.